Gerne und immer wieder wird in der Politik von „Europa“ gesprochen, wenn man sich auf die Europäische Union beziehen will, und noch lieber und noch öfter dient diese Bezugnahme dem Zweck, die Verantwortung für eigene Entscheidungen – oder deren unliebsame Folgen – auf eine andere Ebene abzuschieben. Und weil sich kaum jemand mit eben diesem „Europa“ wirklich auskennt, verfängt diese Masche auch recht gut. In der politischen Bildungsarbeit, wie sie der Lehrplan für das bayerische Gymnasium vorgibt, erscheint deshalb kaum eine Aufgabe dringlicher als das unvoreingenommene Studium der Aufgaben und Zuständigkeiten einer jeweils demokratisch legitimierten Politik auf kommunaler Ebene, auf Länder- und auf Bundesebene sowie auch im gesamteuropäischen Kontext ‒ verbunden freilich mit einem nüchternen Blick auf ihre gegenseitige Vernetzung und Verschränkung im Sinne des gerade in Bayern hochgeschätzten Subsidiaritätsprinzips, das unseren Freistaat nicht nur in Berlin, sondern auch in Brüssel seit jeher als „Mutter des Föderalismus“ gelten lässt.

Eine nicht ganz leichte Aufgabe, möchte man meinen. Doch gibt es eben nichts Gutes, außer man tut es, und so sorgten die Klasse 11b mit ihrer Lehrerin OStRin Birgit Harant und das W-Seminar „100 Jahre Paneuropa“ der 12. Jahrgangsstufe mit ihrem Lehrer OStR Dr. Ernst Schütz in Eigeninitiative für eine persönliche Begegnung mit den europäischen Institutionen in der europäischen „Hauptstadt“, die eigentlich gar keine ist oder sein will. Nachdem sie im vergangenen Schuljahr mit Manfred Weber MEP (CSU), dem Chef der Europäischen Volkspartei, und Bernd Posselt (CSU), dem Chef der Paneuropaunion Deutschland, in Kontakt getreten waren, waren auch schon die ersten Pläne für ihre Brüsselfahrt geschmiedet und ein Programm erstellt.

Den Beginn machte ein Besuch im Europäischen Parlament, einem direkt von der Bevölkerung aller 27 Mitgliedstaaten gewählten Hohen Haus mit 705 Parlamentariern, die zwar (noch) keine Gesetzesinitiative besitzen, aber dennoch maßgeblich an der Gesetzgebung innerhalb der EU mitwirken. Einen weiteren Besuch statteten sie dem Europäischen Rat ab, dessen Ratsgebäude in der Rue de la Loi den Schauplatz aller europäischen Gipfel in den Medien abgibt, wenn sich die ebenfalls demokratisch gewählten Staats- bzw. Regierungschefs der Mitgliedstaaten treffen, um – unterstützt durch die von ihnen beschickte EU-Kommission als Exekutive und „Hüterin der Verträge“ ‒ ihre Souveränität gemeinsam zum Wohle aller auszuüben. Als nicht minder aufschlussreich erwies sich der vereinbarte Termin im Europäischen Ausschuss der Regionen, in welchem auch Bayern mit Sitz und Stimme vertreten ist, und der durch seine ebenfalls durchgehend mit einem demokratischen Mandat versehenen Mitglieder sicherstellen soll, dass europäische Beschlüsse auf allen Ebenen aufeinander abgestimmt werden und somit auch vor Ort dem Gemeinwohl dienen. Kein zentral gesteuertes Diktat also von „oben“, vonseiten ungewählter Bürokraten, sondern vielmehr der Versuch, gerade die Vielfalt unseres Kontinents als seine Stärke zu betrachten und Einheit im öffentlichen Konsens zu erzielen. Im 2017 eröffneten Haus der Europäischen Geschichte konnten sich die Schülerinnen und Schüler schließlich auch ein historisches Bild von diesem „ihrem“ Europa machen.

Nicht nur die deutlichen Anklänge, die man an das 2019 eröffnete Haus der Bayerischen Geschichte in Regensburg spüren kann, lassen einen dort sogleich heimisch fühlen, sondern auch der Blick aus der obersten Etage auf das unmittelbar daneben gelegene Gebäude der Bayerischen Vertretung bei der EU, umschmiegt von Museum und EU-Parlament. Auch dort ließ man sich deshalb gerne noch empfangen und durch das Palais führen, in dem einst Albert Einstein und Marie Curie ihrer Forschung nachgegangen waren. Der Brüsseler Schreibtisch von Ministerpräsident Markus Söder wird wohl den meisten gut in Erinnerung bleiben. Umrahmt von einer Altstadtführung, einem Besuch im weltbekannten Atomium und vielen warmen Abendstunden, ist die Brüsselfahrt der Kochler somit zu einem unvergesslichen Erlebnis geworden. Und wenn das nächste mal im Wahlkampf von Leuten, die es nicht besser wissen (oder vermutlich nicht besser wissen wollen), wieder mal mit den „übergriffigen Brüsseler Bürokraten“ abgerechnet wird, dann gilt ab sofort die beruhigende Einsicht: Uns macht keiner etwas vor ‒ Bildung ist immer besser als Einbildung.