In unserer heutigen Demokratie ist der Fall klar: Die Staatsgewalt geht vom Volke aus. Jede Regierung geht in irgendeiner Weise auf den Volkswillen zurück und ist letztlich auch von diesem abhängig. Bei einem Monarchen ist das anders: Charles ist König von England, weil seine Mutter Elisabeth vor ihm Königin war, die wiederum ihrem Vater nachfolgte usw. Hier hängt neben der Vorstellung „Von Gottes Gnaden“ alles von der Abstammung ab und davon, in wessen Nachfolge man sich stilisiert. Ein eindrucksvolles Beispiel für ein solches Selbstverständnis durfte der Latein-Oberstufenkurs Q11/12 erleben, der sich mit seiner Kursleiterin StRin Petra Bauer auf eine Exkursion zum Schloss Schleißheim nördlich von München machte.
Die Hauptperson, um die es dabei ging, war der Erbauer des barocken Neuen Schlosses Schleißheim und eine der schillerndsten Figuren der bayerischen Geschichte: Kurfürst Max Emanuel, der von 1679 bis 1726 Bayern regierte. Ganz im Sinne der damaligen Zeit des Absolutismus hatte er hohe Ambitionen für seine Person und erwarb sich in jungen Jahren Kriegsruhm im Kampf gegen die Türken, die ihn mit Anerkennung als „Blauen König“ bezeichneten. Mit seiner Großmachtpolitik verfolgte er das Ziel, auch ein wirklicher „König“ zu werden, sei es in den Niederlanden oder woanders in Europa. Wie dieser Herrscher sich nun in antiker Tradition stilisierte, erlebten die Schülerinnen und Schüler bei einer Schlossführung durch Frau Dorothea Hutterer, M.A. Unter dem Titel „Von Troja nach Oberbayern – Antike Helden im Schloss“ zeigte sie bei einem Gang durch die Prunkräume des Schlosses unter anderem auf, wie sich Max Emanuel im prächtigen Treppenhaus in der Waffenschmiede des Vulcan mit bayerischem Wappenschild ganz in der Tradition der „Aeneis“ des Vergil darstellen ließ. Dieses Bildprogramm setzt sich im Großen Saal mit der Freskendarstellung des Zweikampfes von Aeneas und Turnus fort – ein besonderes Erlebnis für die Schülerinnen und Schüler, die sich mit der „Aeneis“ im Unterricht auseinandergesetzt haben, die ja auch in ihrer Entstehungszeit eine willkommene Herrscherlegitimation für Kaiser Augustus darstellte. Auch in den weiteren Räumen wird eine ganze Fülle von Themen rund um den Trojanischen Krieg, wie der Kampf zwischen Achill und Hektor, und der darauf folgenden Aeneasgeschichte erzählt – ganz im Sinne und ganz in der Tradition des Feld- und Kriegsherrn Max Emanuel. Mit Erstaunen konnte die Gruppe den Gesamteindruck mitnehmen, wie stark die Antike auch in späteren Zeiten ganz konkreten Einfluss auf Politik und Machtstreben nehmen konnte.
Wie sich die Ansprüche Max Emanuels in der Realität umsetzen ließen, war eine andere Frage. Er scheiterte mit seinem Vorhaben, König zu werden, Bayern wurde zeitweise von den ungeliebten Österreichern besetzt und war finanziell am Ende seiner Herrschaft ruiniert. Auch Schleißheim konnte nicht in der geplanten Größe ausgebaut werden. Immerhin wurde sein Sohn Karl Albrecht – wenn auch nur kurz – „römisch“-deutscher Kaiser – also doch noch ein sehr später „Nachfolger“ des Aeneas.
Die Latein-Oberstufengruppe auf den Stufen des Treppenhauses im Neuen Schloss Schleißheim